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Vestas-Siegeszug in Deutschland und Bürgerwindpark

Dies ist ein Artikel aus unserem Februarheft, das am 3.2.2020 erschien. Die hier geschriebene Marktanalyse stützt sich auf vorläufige Daten aufgrund der Meldungen der Bundesnetzagentur in der zweiten Januarwoche. Die erst Ende Januar erschienene offizielle Bilanz der Windenergieverbände finden Sie hier.

Tilman Weber

Ausgerechnet ein Bürgerwindpark landete als größte Installation an Land 2019 auf dem Siegertreppchen. Im westlichen Münsterland errichtete der Münsteraner Projektentwicklungs-Dienstleister BB Wind 2019 zehn Anlagen mit je 4,2 Megawatt (MW) Nennleistung. Als Auftraggeber fungierten drei örtliche Investoren- und Betreiber-Gesellschaften, in denen sich Anleger aus der Umgebung der Orte Schöppingen und Legden organisiert haben. Von Mitte Juni bis Anfang November nahmen sie alle Turbinen vom Typ E-141 in Betrieb.

Schöppingen-Ramsberg macht 4,5 Prozent des Gesamtergebnisses aus

Die 42 MW Gesamtleistung von Schöppingen-Ramsberg, -Strönsfeld und -Brook sind viel im Jahr des schwächsten bundesweiten Zubaus seit 1999. Sie machten 4,5 Prozent des Gesamtergebnisses aus: 2019 kamen hierzulande laut vorläufigen Daten der Bundesnetzagentur (BNetzA) 944 MW neu ans Stromnetz. Brutto. Netto, nach Abzug abgebauter und nicht mehr rentabler Altanlagen, waren es nur 854 MW Kapazitätszuwachs. Der Absturz der deutschen Onshore-Konjunktur setzte sich somit ungebremst fort. Vom Rekordjahr 2017 mit 5.344 MW brutto war der Zubau bereits 2018 um mehr als die Hälfte abgesackt. Nun erfolgte ein nochmaliger fast 60-prozentiger Rückgang.

Dennoch ist Schöppingen kein einsames Leuchtturmprojekt. Der Gesamtwindpark ist eher ein Paradebeispiel dafür, unter welchen Umständen 2019 im Einzelfall noch Beeindruckendes gelingen konnte.

Windparkplanungen im Namen von Landwirten

Beeindruckend war die zügige Abwicklung: BB Wind ist ein Kürzel für Bäuerlicher Bürgerwind. Das Unternehmen organisiert Windparkplanungen im Namen von Landwirten. In Schöppingen sicherte diese Beteiligung dem Projekt wohl reichlich Rückenwind in einer landwirtschaftlich geprägten Anwohnerszene. Nur 7 bis 14 Monate nachdem die Bauanträge ab Frühjahr 2017 eingegangen waren, erteilten die Behörden die Genehmigungen. Zum Vergleich: Wegen unklarer gesetzlicher Genehmigungsregeln sind derzeit im Mittel zwei Jahre oder mehr üblich.

Tempo dank Bürgerwindregel von 2017

Beschleunigend wirkte ein weiterer Faktor: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hatte durch eine vorübergehende Förderregel 2017 alle Bürger­windgesellschaften an den Ausschreibungen von Vergütungsrechten teilnehmen lassen, sofern sie nur die geplanten Standorte und ein Ertragsgutachten vorlegen konnten. In Schöppingen gab es für sieben solcher Anlagen gleich im Mai 2017 den Ausschreibungszuschlag für 5,58 Cent pro eingespeister Kilowattstunde. 2018 folgte für den nun genehmigten Rest der Zuschlag bei 6,28 Cent. Als auch die Genehmigungen für die Turbinen aus der Ausschreibung 2017 vorlagen, begann sofort der Bau. „Jetzt kommen die ersten größeren so geförderten Bürgerwindprojekte“, lobt Jürgen Quentin, Statistik-Experte bei der Berliner Fachagentur Wind­energie an Land.

Bürgerwindpark-Gesellschaften

Wie oft es solche Projekte noch geben wird, ist indes unklar, warnt Quentin. Denn Bürgerwindpark-Gesellschaften mit Zuschlägen von 2017 müssen – anders als professionelle Investoren – erst fünf statt spätestens zwei Jahre nach dem Tender-­Zuschlag einspeisen. Viele hatten 2017 mit sehr niedrigen Geboten ihr Glück versucht und Zuschläge gewonnen. Oft warten sie nun die Entwicklung effizienterer Windturbinen ab. Derweil geben sie neue und höhere Gebote für die­selben Projekte ab, um bei Zuschlägen den Projekten etwas mehr Vergütung zuzuschreiben. Die ersten Zuschläge lassen sieB bei geringen Strafgebühren notfalls verfallen.

Repowering und Beteiligung als Türöffner

Jürgen Quentin von der Fachagentur Wind an Land hat indes noch weitere große Windparks mit Netz­anschluss 2019 identifiziert: Zuvorderst Windpark Milow in Mecklenburg-Vorpommern mit neun Anlagen und knapp 35 MW, den das Unternehmen Eno projektiert und von März bis September ans Netz gebracht hat: Sechs Anlagen produzierte Eno selbst, drei steuerte Wettbewerber Vestas bei. Und 2020 kommen noch drei Eno-Anlagen hinzu. Ein wenig kleiner fielen die Enercon-Windparks Oederquart mit 22 MW bei Stade und Schönberg mit 18,8 MW aus. Schönberg ist der erste Bürgerwindpark gemäß einem mecklenburg-vorpommerschen Gesetz zur Beteiligung von Anwohnern. Projektierer Baywa RE ermöglichte ihn durch Repowering, den Abbau älterer Anlagen im Tausch gegen die Neuerrichtung leistungsstärkerer Maschinen.

Wemag-Beteiligungsmodell

Das größte Windparkprojekt mit ersten Netzanschlüssen im Jahr 2019 dürfte aber das mecklenburgische 16-Turbinen-Vorhaben Hoort gewesen sein. Hier installiert Nordex seit Ende vergangenen Jahres den Turbinentyp N117 für das brandenburgische Projektentwicklungsunternehmen Loscon und die MEA Energieagentur, die dem kommunalen Schweriner Regionalversorger Wemag gehört. Bis Februar entstehen fast 60 MW Erzeugungskapazität. Ein Wemag-Beteiligungsmodell lässt örtliche Bürger profitieren.

Ob diese Großprojekte bereits Vorboten eines bevorstehenden Aufschwungs auf dem deutschen Onshore-Windmarkt sein könnten, hängt vom Gesetzgeber ab, der zur Unterstützung der Windkraft an Land einige derzeit widrige Rahmenbedingungen neu justieren müsste. Das Potenzial wäre da: Für 2020 erwarte er ein leichtes Plus und insgesamt 1,5 Gigawatt (GW) Onshore-Jahreszubau, sagt Jürgen Quentin. Die BNetzA-Statistik meldet aus 2019 Neugenehmigungen für zwei GW.

Vestas löst Enercon als Marktführer ab

Doch die turbulenten Veränderungen im Markt haben auch die Anteile der Windturbinenhersteller durcheinandergewirbelt, wie Statistikanalyst Quentin aus den langen Excel-Datenreihen der BNetzA ermittelt hat. Das vermeintlich mit einem Abonnement auf Rang zwei beim deutschen Onshore-­Ausbau ausgestattete Windturbinenunternehmen Vestas nahm 2019 der ewigen Nummer eins Enercon die Marktführerschaft ab: Mit 407 MW und 43,3 Prozent am gesamten Zubau hatte der dänische Windkraftkonzern weniger Einbußen hinnehmen müssen als die nächsten Wettbewerber. Enercon schloss laut dem Meldestand der BNetzA vom 10. Januar nur noch 91 Anlagen mit 295,4 MW an die Stromleitungen an. Es wären 31,4 Prozent Marktanteil. Dahinter erreichte nur Nordex einen annähernd dreistelligen MW-Zubau: 28 Anlagen mit 96,9 MW. Auf Rang vier zurück ist Hersteller GE. Das Unternehmen mit seiner Europazentrale im niedersächsischen Salzbergen konnte nach einer Totalflaute im Jahr 2018 nun wieder mehr als 50 MW verzeichnen.

Gemeinsam haben die ersten vier, dass ihre jeweils leistungsstärksten Serienturbinen mit Abstand am meisten zum Einsatz kamen. So errichtete Vestas die 3,6-MW-Anlagen vom Typ V136 mit 136 Meter Rotordurchmesser 38-mal. Enercon errichtete immerhin noch 28 Maschinen vom 4,2-MW-Anlagentyp E-141 mit 141 Meter Rotordurchmesser. Nordex installierte 13 N131 mit im Durchschnitt knapp 3,5 MW. GE Energy stellte das 3,6-MW-Modell 3.6-137 12-mal auf.

Flexiblere Turbinentechnologie senkt den Preis

Ob Vestas eher mit ausschreibungsfreundlichen, niedrigen Turbinenpreisen punkten konnte oder mehr mit einer besonders pünktlichen Lieferung von Windenergieanlagen oder durch weitere hilfreiche Vorzüge, darauf legt sich das Unternehmen auf Nachfrage nicht fest. Immerhin kann es bei seinen neuesten Anlagen durch eine flexiblere Turbinentechnologie immer mehr weltweit verfügbare Gleichbauteile einsetzen. Das senkt den Preis. Als Weltmarktführer kann Vestas diesen Effekt durch die größten Errichtungsvolumen zudem stärker ausspielen als andere.

Turbinendesigns hat Enercon reformiert

Dagegen hatte Wettbewerber Enercon 2019 noch einen Wechsel hin zu einer Anlagentechnologie bewältigen müssen, die auf dieselbe Flexibilität im Anlagenbau zielt. Noch 2018 waren die Enercon-Turbinen E-115 und E-141 die erfolgreichste und die dritt­erfolgreichste Turbine im Markt mit zusammen fast 260 Errichtungen. Ein Jahr später konnte das ostfriesische Unternehmen nur noch 57 Einheiten davon installieren. Denn beide sind Turbinentypen im traditionellen Enercon-Design mit einer großen eiförmigen Maschinenhausgondel und einem besonders großen materialintensiven Ringgenerator. Die Turbinendesigns hat Enercon inzwischen über alle Leistungsklassen hinweg reformiert, um künftig Anlagen mit einer viel schlankeren Architektur anzubieten. Das neue Design ist dem des von Enercon unlängst übernommenen niederländischen Anlagenentwicklers Lagerwey angepasst. Erkennbar am Typennamenszusatz EP2, EP3 oder EP4 haben die reformierten neuen Windturbinen einen kleineren Ringgenerator mit industriell hergestellten und im Markt gut verfügbaren Formspulen. Die Rotorblätter sind keine eigene Spezialanfertigung mehr mit breiter Blattwurzel, mit der Enercon-Anlagen bisher etwas mehr Energieertrag ausreizen sollten als Wettbewerbsanlagen. Die künftigen Rotorblätter können Zulieferer weltweit fertigen. Als Antwort auf den geschäftlichen Einbruch müssen die Ostfriesen dieses Design schnell zur Serienfertigung bringen.

Genehmigungen bestätigen Marktanteile

Die neue Rangordnung im deutschen Onshore-­Installationsgeschäft bestätigt sich anhand der Genehmigungen neuer Bauvorhaben. Mit 34,7 Prozent an der insgesamt 2019 genehmigten Erzeugungskapazität bauen die Dänen den Vorsprung zu Wettbewerber Enercon aus, der mit 20,8 Prozent auf Rang zwei steht. Nordex landet mit 16,3 Prozent auf Rang drei. Dahinter gaben die Genehmigungsbehörden auch Anlagen von GE, Senvion und Siemens Gamesa wieder häufiger grünes Licht – bei Markt­anteilen von elf, knapp acht und sechs Prozent.

Die meisten Genehmigungen erhielten neue innovative Anlagentypen, die sich für den Betrieb an sehr unterschiedlich windreichen Standorten aussteuern lassen. Unter den elf bei der BNetzA 2019 am häufigsten baugenehmigt gemeldeten Modellen geben V150 und N149 von Vestas und Nordex das Spitzenduo. Bis Platz elf reihen sich dahinter Enercons E-126 EP3/EP4, E-138 EP3 und E-141 EP4 ein sowie GE-Modell 4.8/5.3/5.5-158. Die Dimensionen dieser erstmals seriengefertigten Superturbinen schließen direkt oberhalb der Maße der bis dahin größten Anlagen an: 3,5 bis 5,5 MW und 126 bis 158 Meter Rotordurchmesser.

Mit der V150-4.2 MW habe Vestas „industrieweit eine der effizientesten Windenergieanlagen für Schwachwindstandorte“ früh auf den Markt gebracht, erklärt Vestas die hohe Nachfrage nach der neuen Anlage. Wettbewerber Nordex argumentiert ähnlich: „Grundlage ist, dass N149 die erste voll genehmigungsfähige Anlage der 150-Meter-Klasse 2017 war“. Sie punkte auch, weil durch ihr flexibles Design „fast alle Standortbedingungen von Nord- bis Süddeutschland durch die N149 abgedeckt werden“.

Enercon besteht zwar auf einer etwas positiveren Bilanz als die der FA Windenergie an Land: 378 MW oder 125 Onshore-Turbinen habe Enercon 2019 in Deutschland installiert, heißt es aus dem Firmensitz Aurich. Tatsächlich dürften Nachmeldungen im sogenannten Marktstammdatenregister der BNetzA von kurz vor dem Jahreswechsel entstandenen Windparks die Daten noch angleichen. Doch bei der Begründung des Verlusts der Marktführerschaft herrschen keine zwei Meinungen: So benennt Enercon-Pressesprecher Felix Rehwald „interne Gründe wie Belastungen aus dem Unternehmensumbau sowie Verzögerungen bei den Anlaufprozessen für neue Anlagentypen“. Durch diese sei absehbar, „dass sich 2020 die Situation wieder verbessern wird“.

Das übrige Zehntel des Markts teilten sich drei Turbinenbauer auf: Der nach einer Insolvenz inzwischen aus dem Markt abgetretene Windturbinenbauer Senvion errichtete 2019 nur 33,6 MW. Die Windturbinensparte von Deutschlands kleinstem Windturbinenhersteller Eno brachte 35 MW ans Netz. Der deutsch-dänisch-spanische Windkraftkonzern Siemens Gamesa (SGRE) musste sich mit 15,8 MW und einem 1,7-Prozent-Stück vom Kuchen begnügen und wartet weiter auf eine Rückkehr als wichtiger Spieler im deutschen Markt. Immerhin genehmigten die Behörden 2019 die Errichtung weiterer 33 SGRE-Anlagen mit 117 MW.

Regionale Ungleichheit im Ausbau bleibt

Der Trend zu regionaler Ungleichheit verstärkt sich derweil noch. So gingen 2019 in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen die Inbetriebnahmen auf ein Minimum von jeweils deutlich unter 20 MW zurück. Demgegenüber wurde Brandenburg mit 53 neu installierten Anlagen oder 193 MW erstmals das Bundesland mit dem stärksten Windenergie-Zubau eines Jahres und löste hierbei Niedersachsen ab.

In Niedersachsen macht sich nicht zuletzt die Blockade einer gigantischen potenziellen Turbinenflotte bemerkbar: Bundesweit sind rund vier GW Windkraft durch 15 Kilometer breite Tabuzonen um Flugsicherungsanlagen blockiert. Doch verlangt der europaweite Standard nur 10 Kilometer Sicherheitsradien. Eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Aussicht gestellte Anpassung würde rund zwei GW freisetzen. Betroffen hiervon sind vor allem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo 2019 noch rund 182 und 128 MW Windkraft neu ans Netz gingen. Auch bei den Genehmigungen fällt Niedersachsen zurück. Hier gaben die Behörden 2019 für 245 MW grünes Licht, während sie in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen jeweils rund 440 MW freigaben.

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