Es sei gut, dass die Bundesregierung einen Teil der Übertragungsnetzentgelte übernehme. „Doch ohne Druck werden die Netzbetreiber diese Einsparung nicht an die Verbraucher weitergeben. Statt hilflos an den guten Willen privater Unternehmen zu appellieren, muss Ministerin Reiche verbindlich dafür sorgen, dass die Entlastung bei den Menschen ankommt“, sagt Ines Schwerdtner, Vorsitzende der Partei Die Linke, zur Forderung der Wirtschaftsministerin an die Netzbetreiber, sie müssten finanzielle Erleichterungen an die Bürger weitergeben.
Zudem muss die Bundesregierung, statt mit teuren Geldgeschenken für die Unternehmen die hohen Kosten abzufedern, die eigentliche Ursache angehen. Der Netzausbau gehört in öffentliche Hand. Wird der Ausbau privaten Unternehmen überlassen, steigen die Kosten – denn im Gegensatz zur öffentlichen Hand müssen die Menschen dann auch die Gewinne der Konzerne mit bezahlen“, so Schwerdtner.
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Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit treibt derzeit die Protagonisten Energiewende um. Bürger wünschen sich sozial ausgewogene Finanzierung, so das Ergebnis einer aktuellen Bürgerbeteiligung zur Finanzierung der Energiewende. Bei der Ariadne-Bürgerkonferenz im Juni 2024 diskutierten 50 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger über eine gerechte Verteilung der Kosten. Sie betonten, dass die Finanzierung sozial ausgewogen gestaltet werden müsse.
„Das Verursacherprinzip ist grundsätzlich gerecht, aber es braucht soziale Ausgleichsmechanismen, um einkommensschwache und strukturell benachteiligte Gruppen zu schützen“, fasst Studienleiter Ingo Wolf vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit die Ergebnisse zusammen. Die Teilnehmer sprachen sich für eine Kombination verschiedener Finanzierungsinstrumente aus:
CO2-Bepreisung nach dem Verursacherprinzip, aber mit sozialem Ausgleich
Gezielte Förderungen für klimafreundliche Investitionen
Steuererhöhungen vor allem für einkommensstarke Gruppen
Schuldenfinanzierung für wichtige Zukunftsinvestitionen
Akzeptanz hängt von gerechter Verteilung ab
„Die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen steigt, wenn die Kostenverteilung als gerecht empfunden wird und gesellschaftliche Teilhabe für alle gewährleistet bleibt“, erklärt Karolina Rütten vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Luxus- und Mehrkonsum, der besonders viele Emissionen verursacht, sollte demnach stärker belastet werden. Grundbedürfnisse wie Mobilität und Heizen müssten dagegen für alle bezahlbar bleiben.
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Die Bürger forderten auch mehr Transparenz bei der Mittelverwendung. „Die Menschen wollen wissen, wofür ihr Geld konkret eingesetzt wird“, so Rütten. Zudem müssten Förderprogramme einfacher zugänglich und sozial gestaffelt sein. Bisher profitierten oft nur gut informierte und einkommensstarke Haushalte davon. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Generationengerechtigkeit. „Schulden für Klimainvestitionen können fair sein, weil sie auch künftigen Generationen zugutekommen“, sagt Wolf. Wichtig sei aber, dass die Mittel effizient eingesetzt werden, etwa für langfristige Infrastruktur.
Die Ergebnisse der Bürgerkonferenz sollen nun in konkrete Politikempfehlungen einfließen. „Wir brauchen einen Mix aus verschiedenen Instrumenten, der sowohl ökologisch wirksam als auch sozial gerecht ist“, fasst Rütten zusammen. Nur so könne die Energiewende gelingen und breite gesellschaftliche Unterstützung finden.
Studien des Öko-Instituts
Zwei neue Studien des Öko-Instituts liefern nun eine datenbasierte Grundlage, um verschiedene Gerechtigkeitsaspekte beim Ausbau von Wind- und Solarenergie zu berücksichtigen und deren Auswirkungen auf das Stromsystem zu analysieren. Die Forschenden untersuchten unterschiedliche Ansätze für eine gerechte Verteilung, darunter: Gleichmäßige Verteilung über die verfügbare Fläche; Fokus auf Regionen mit hoher Stromnachfrage; Ausbau anhand einer gleichen Belastung der Bevölkerung.
„Es gibt nicht eine allgemeingültige gerechte Verteilung, sondern viele gleichberechtigte Perspektiven“, betont Marion Wingenbach vom Öko-Institut. Die verschiedenen gesellschaftlichen Vorstellungen von Fairness wurden systematisch erfasst und in Raumplanungsszenarien übersetzt. Durch die Kombination mehrerer Gerechtigkeitsmetriken und die Berechnung von Überschneidungen entstanden sogenannte „Konsensräume“. Diese zeigen auf, wo sich verschiedene Gerechtigkeitsvorstellungen überlappen. „Mit diesen methodisch ermittelten Konsensräumen liegt eine Datengrundlage vor, mit der politisch über regionale Ausbauziele diskutiert werden kann“, erklärt Franziska Flachsbarth vom Öko-Institut. Die Methode mache konfliktarme Flächen sichtbar und könne so zu einer zügigeren Planung beitragen.
Auswirkungen auf das Stromsystem
Die Studien zeigen, dass sich je nach gewähltem Verteilprinzip Stromerzeugung, Systemkosten, Emissionen und Importbedarf zum Teil erheblich ändern. Dies ist besonders bei der Windenergie auffällig, während bei Freiflächen-Photovoltaikanlagen kaum Unterschiede feststellbar sind. „Bei der Photovoltaik entstehen dadurch Gestaltungsspielräume: Gesellschaftliche Kriterien wie Landschaftsschutz oder lokale Akzeptanz können bei der Standortwahl stärker gewichtet werden – ohne Effizienzverluste befürchten zu müssen“, erläutert Wingenbach.
Bei der Windenergie wird deutlich: Viele Formen von Gerechtigkeit sind für das Stromsystem tragbar, aber nicht alle vorteilhaft. Beispielsweise steigt der Bedarf an Anlagen oder Importstrom, wenn Windanlagen dort gebaut werden, wo viel Strom verbraucht wird oder viele Menschen wohnen. Die Ergebnisse und Datensätze der Studien stehen öffentlich zur Verfügung. Sie können sowohl für die konkrete Ausbauplanung als auch für wissenschaftliche Strommarktanalysen genutzt werden.
„Mit unseren Studien wollen wir eine datenbasierte Grundlage liefern, um über eine regional gerechte, systemisch sinnvolle und sozial verträgliche Verteilung von erneuerbaren Energien zu diskutieren“, fasst Flachsbarth zusammen. Die Forschenden hoffen, dass die Ergebnisse zu einer ausgewogenen Debatte und letztlich zu einer breit akzeptierten Verteilung erneuerbarer Energien beitragen. Denn nur mit gesellschaftlicher Unterstützung kann die Energiewende gelingen.