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Deutschland könnte sein Klimaziel 2030 erreichen – doch der Jubel bleibt verhalten

Rekordrückgang des CO2-Ausstoßes, Klimaziele 2030 in Reichweite – doch es jubelt (fast) niemand. Wirtschaftsminister Robert Habeck präsentierte zwar stolz die aktuellen Daten des Umweltbundesamtes für 2023, doch trotz der guten Entwicklung gibt es viel Kritik.

Um 10,1 Prozent ging der Ausstoß der Treibhausgase zurück – so viel war es das letzte Mal 1990, als viele DDR-Betriebe die Produktion einstellten. Und eine Parallele drängt sich auf: Auch jetzt ist es vor allem die Industrie, die schlicht weniger produziert hat, ihre Ziele übererfüllt und kaschiert, dass vor allem der Verkehrssektor noch lange nicht auf Kurs ist.

UBA rechnet mit CO2-Rückgang von 64 Prozent bis 2030

Im einzelnen: Insgesamt wurden 2023 in Deutschland rund 673 Millionen Tonnen THG freigesetzt – 76 Millionen Tonnen weniger als 2022. Dazu zeigen die Projektionsdaten des UBA, dass bei einem engagierten Ausbau der erneuerbaren Energien die Klimaziele 2030 erreichbar sind. Das UBA rechnet bis 2030 einen Rückgang um knapp 64 Prozent im Vergleich zu 1990. Damit wird das Klimaziel für 2030, das eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent vorsieht, aus Sicht des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums greifbar.

Energiewirtschaft und Industrie reduzieren krisenbedingt

Im Sektor Energiewirtschaft sind die THG-Emissionen 2023 gegenüber dem Vorjahr um rund 51,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ( 20,1 Prozent) gesunken, was laut UBA auf einen geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme zurückzuführen ist. Gründe hierfür seien unter anderem die deutlich gesunkene Kohleverstromung, der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien und ein Stromimportüberschuss bei gleichzeitig gesunkener Energienachfrage, auch wegen des milden Winters.

In der Industrie sanken die Emissionen im zweiten Jahr in Folge auf rund 155 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2023. Dies entspricht einem Rückgang von fast 13 Millionen Tonnen oder 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt der Industriesektor mit rund 18 Millionen Tonnen  CO2⁠-Äquivalente unter seiner Jahresemissionsmenge für 2023. Wichtige Treiber dieses Trends sind die negative konjunkturelle Entwicklung und gestiegene Herstellungskosten, die zu Produktionsrückgängen führten.

Milder Winter sorgt für leichten Rückgang im Gebäudesektor

Auch im Gebäudesektor konnte eine Emissionsminderung von 8,3 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten auf rund 102 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente (minus 7,5 Prozent) erreicht werden. Trotz dieser Minderung überschreite der Gebäudesektor erneut die gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz erlaubte Jahresemissionsmenge, diesmal um rund 1,2 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Wesentliche Treiber für den Rückgang der Emissionen sieht das UBA wiederum in niedrigerem Energieverbrauch aufgrund der milden Witterungsbedingungen und höheren Verbraucherpreise. Auch der Zubau an Wärmepumpen wirke sich positiv auf die Emissionsentwicklung im Gebäudebereich aus, da beispielsweise weniger Erdgas und Heizöl eingesetzt wurden.

Verkehr: Ziel deutlich verfehlt

Im Verkehr wurden 2023 rund 146 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ausgestoßen. Damit liegen die THG-Emissionen im Verkehrssektor rund 1,8 Millionen Tonnen (1,2 Prozent) unter dem Wert von 2022 und rund 13 Millionen Tonnen über der zulässigen Jahresemissionsmenge von 133 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Immerhin: Im Vorjahr waren die Emissionen noch leicht angestiegen.

Damit ist der Verkehr damit der einzige Sektor, der sein Ziel deutlich verfehlt und sich weiter vom gesetzlichen Zielpfad entfernt. Dazu kommt, dass laut UBA Hauptgrund für den leicht Rückgang der Emissionen nicht etwa effektive Klimaschutzmaßnahmen sind, sondern die abnehmende ⁠Fahrleistung ⁠im Straßengüterverkehr. Verglichen mit 2022 hat der Pkw-Verkehr 2023 dagegen leicht zugenommen. Die im vergangenen Jahr neu zugelassenen Elektrofahrzeuge im Pkw-Bestand wirken nur leicht emissionsmindernd.

Experten fordern dauerhafte Emissionssenkung

Kritik blieb daher nicht aus. Die Bundesregierung müsse dringend Klimaschutzinstrumente umsetzen, die die Emissionen in allen Sektoren nachhaltig senken – auch im Verkehr und in Gebäuden, forderte Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland. Die Rechnung, dass andere Sektoren die Versäumnisse in den Problembereichen Verkehr und Gebäude ausgleichen, berge erhebliche Risiken: „Erstens ist ein überwiegender Teil der Treibhausgasminderung von Kraftwerken und Industrie im Jahr 2023 krisenbedingt und damit nicht langfristig gesichert. Eine wirtschaftliche Erholung kann die Einsparungen in diesen Bereichen wieder dämpfen. Damit schrumpft der Spielraum, um die jährlichen Minderungsziele trotz fehlender Klimafortschritte bei Gebäuden und Verkehr zu erreichen.“ Zweitens gehe Deutschland das Risiko von Strafzahlungen an die EU ein, wenn es die europarechtlich festgelegten Effort-Sharing-Minderungsziele für Gebäude und Verkehr verfehlt. 

Carolin Friedemann, Geschäftsführerin der Initiative Klimaneutrales Deutschland, kritisierte: „Die nunmehr seit über einem Jahr anhaltende politische Diskussion um die Novellierung des Klimaschutzgesetzes scheint für die verantwortlichen Ministerien ein Freifahrtschein fürs Nichtstun zu sein. Bei Gebäude und Verkehr gibt es nach wie vor keine nennenswerten Einsparungen.“ (kw)