Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Groko

10 plus 10 – was der Koalitionsvertrag verspricht in der Übersicht

Der am heutigen Mittwoch, 7. Februar, nach rund zehn Verhandlungstagen vorgelegte Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU zur Fortsetzung ihrer gemeinsamen großen Koaliton ist 179 Seiten stark. Er gilt allerdings erst als gültiger Vertrag, wenn sowohl die CDU-Parteimitgliedschaft auf einem Parteitag am 26. Februar als auch die SPD-Parteimitglieder in einer allgemeinen Briefwahl für alle Mitglieder am 2. März mehrheitlich zugestimmt haben. Insbesondere in der SPD ist eine neuerliche Große Koalition umstrittten. Dem Koalitionsvertrag vorausgegangen war am 2. Februar bereits eine Bundesratsinitiative, die dem Windenergieausbau sofort helfen soll. Die vermutlich wichtigsten zehn konkreten und zehn weniger konkrete Ergebnisse für eigentlich wichtige Ziele lesen Sie im folgenden.

Konkret:

1)

Zunächst hatte der Bundesrat am 2. Februar die Bundesratsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen mit leichter Modifikation verabschiedet. Sie sieht zusätzliche Ausschreibungsvolumen von 1.400 Megawatt (MW) Windenergie im zweiten Halbjahr 2018 vor. Verteilt nun auf die zwei späteren der vier 700-MW-Ausschreibungstermine – auf 1. August und 1. Oktober – sollen nach dem Willen der Bundesländer demnach in Ausschreibungsrunde drei zunächst Zuschläge für 1.150 MW und in Ausschreibungsrunde vier Zuschläge für 1.650 MW an die Auktionsteilnehmer zu vergeben sein. In den Ausschreibungsrunden eins und zwei am 1. Februar und am 1. Mai bliebe es hingegen bei jeweils 700 MW. Ab 2023, darauf zielt die Bundesratsinitiative ab, würden alle Ausschreibungsrunden um jeweils 200 MW kleiner ausfallen – so lange, bis das auf 2018 vorgezogene Volumen wieder ausgeglichen sein würde. Allerdings werden auch die bis dahin nicht gebauten Erzeugungskapazitäten sogenannter Bürgerwindparks den Ausschreibungsvolumen wieder zugute geschrieben: Solche Bürgerwindparks genießen laut einer Definition im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2017 bisher zwei entscheidende Vergünstigungen, die diese im vergangenen Jahr über 90 Prozent der Zuschläge gewinnen ließen. Bürgerenergie-Gesellschaften mit einer nachweislich hohen Beteiligung an nichtprofessionellen Investoren aus dem Landkreis des geplanten Windparkstandorts durften laut der EEG-2017-Förderregelung auch ohne Baugenehmigung an den Ausschreibungen teilnehmen – und sie haben eine extrem lange Frist von bis zu viereinhalb Jahren, bis sie nach dem Zuschlage den Windpark ans Netz angeschlossen haben müssen. Dies führte nach Meinung vieler Experten zur Gefahr spekulativer Projektierungen: Bürgerenergiegesellschaften warteten die Entwicklung späterer und noch effizienterer Turbinentypen ab, um rentabel sein zu können, lautet der Hauptkritikpunkt. So befürchten die Kritiker auch einen Fadenriss in den Jahren 2019 und 2020, weil der Bau der Windparks aus den Ausschreibungen von 2017 noch auf sich warten lassen dürfte. Die jetzt von den Bundesländern geforderten zusätzlichen Ausschreibungsvolumen für 2018 sollen diese Lücke wieder schließen: Die Bundesratsinitiative sieht daher für die Zuschläge in der Ausschreibungsrunde drei sogar eine besonders kurze Frist von nur 21 Monaten bis zum Netzanschluss vor.

2)

Damit die Vorziehmaßnahme überhaupt funktioniert, verlangt die Bundesratsinitiative zudem eine Verlängerung des bereits 2017 im Bundestag verabschiedeten Moratoriums für eine der entscheidenden Bürgerenergieregelungen. Das Moratorium gilt für die ersten zwei Ausschreibungsrunden 2018 und sieht somit nur fürs erste Halbjahr vor, dass die Zulassung der Bürgerenergiegesellschaften an Ausschreibungen ohne Baugenehmigungen nicht gilt. Die Bundesländer verlangen nun eine Ausdehnung des Moratoriums um ein weiteres Jahr bis Mitte 2019.

3)

Laut Koalitionsvertrag wollen CDU/CSU und SPD nun die Baugenehmigung dauerhaft für alle Projektentwicklungsgesellschaften als Bedingung zur Teilnahme an einer Ausschreibungsrunde machen.

4)

Die potenziellen Koalitionäre planen Sonderausschreibungen von jeweils 4.000 MW zusätzlicher Windenergie- und Photovoltaik-Erzeugungskapazitäten in den Jahren 2019 und 2020 über die bisherigen 2.800 MW pro Jahr hinaus – beziehungsweise über die ab 2020 laut EEG festgelegte Ausschreibungsjahresmenge von 2.900 MW hinaus. Die Extra-Ausschreibungen sollen dazu dienen, dass die bei den eigenen klimapolitischen Verpflichtungen inzwischen stagnierende Bundesrepublik den Kohlendioxidausstoß doch schneller reduzieren kann.

5)

Auch für Photovoltaik-Großprojekte wollen die Koalitionäre in spe daher die Ausschreibungsvolumen von derzeit sogar nur 600 MW pro Jahr um zwei Mal 2.000 MW erweitern. Geplant sind die Zusatzausschreibungen ebenfalls für 2019 und 2020.

6)

Mit den Zusatzvolumen der Auktionen in den kommenden zwei Jahren wollen die mutmaßlichen neuen Regierungspartner immerhin eine Reduktion des Klimagasausstoßes von CO2 um acht bis zehn Millionen Tonnen erreichen. Allerdings räumen Union und Sozialdemokraten bereits im Vertragsentwurf ein, dass sie die Klimaziele für 2020 nicht erreichen werden – und nur „die Handlungslücke … so schnell wie möglich … schließen“ wollen. Als Handlungslücke bezeichnen die Partner somit die vor 2020 unterlassenen Maßnahmen, mit denen sie den CO2-Ausstoß Deutschlands bis 2020 noch um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 hätten bringen können. Oder mit denen Deutschland noch die durch die Europäische Union auferlegten Quoten des Erneuerbare-Energien-Anteils in den Energieverbrauchssektoren Wärme und Verkehr hätte erreichen können. Dafür enthält der Koalitionsvertragsentwurf die Formulierung: „Das Minderungsziel 2030 wollen wir auf jeden Fall erreichen.“ Und nicht zuletzt: Für 2030 schreibt der Vertrag demnach einen Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung von schon „etwa 65 Prozent“ vor. Bisher sind nur ein Ausbau der Erneuerbaren auf einen Anteil von maximal 45 Prozent bis 2025 und von 80 Prozent bis 2050 vorgesehen.

7)

Die Verhandlungspartner wollen die Erneuerbaren erklärtermaßen auch deswegen deutlich schneller ausbauen, um „den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken“. Damit formuliert die Groko erstmals, dass die sogenannte Sektorkopplung die bisherigen atmenden Deckel – die Ausbauobergrenzen für Wind- und Solaranlagen – anheben muss. Bei der Sektorkopplung fließt überschüssiger Grünstrom aus Sonne und Wind in Anlagen zur Umwandlung von Strom in Wärme- oder Kälteenergie oder in Power-to-Gas-Anlagen zur Produktion von Gas oder Wasserstoff. Power-to-Gas-Anlagen können damit Treibstoffe bereitstellen. Aber auch die Verbindung von Wind- und Sonnenstromerzeugung mit der Elektromobilität gilt natürlich als Sektorkopplung mit dem Verkehr.

8)

„Deutschland soll wieder Standort für Batteriezellproduktion werden - Wir wollen ein Fraunhofer-Institut für Speichertechnologien einrichten“, verspricht der Vertragsentwurf auch eine konkrete Maßnahme für den hierzulande darnieder liegenden großflächigen Ausbau von Speichern. Speicher sollen die Versorgung aus den wetterabhängigen Wind- und Solaranlagen verstetigen helfen, dies gilt in der Energiewirtschaft als unumstritten.

9)

Speziell für die Elektromobilität würde Schwarz-Rot „100.000 Ladepunkte für Elektrofahrzeuge zusätzlich verfügbar … machen“, heißt es in dem 179-Seiten-Dokument ebenfalls noch konkret. Das soll die sogenannte E-Mobility als Sektorkopplungsinstrument endlich „deutlich voranbringen“ – und zugleich für klassische Elektro-, für Brennstoffzellen- und für Wasserstofffahrzeuge gelten.

10)

Auch ein „Gebäudeenergiegesetz“ steht als Ankündigung wörtlich im Verhandlungsergebnis. Es soll die bisherigen gebäudeenergetischen deutschen Gesetze zusammenfassen. Vor allem soll es für die Wärmeversorgung der Häuser das EU-Recht ab 2019 für öffentliche Gebäude und ab 2021 für alle Immobilien umsetzen.

Wenig konkret:

1)

Sozial- und Christdemokraten sowie Christsoziale sind sich generell einig: Auch die Inhalte aus dem eigenen Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 sowie dem Klimaschutzplan 2050 sollen komplett gelten. Doch wie und wie schnell Deutschland das Ziel für 2020 bei der Kohlendioxid-Immissionsminderung erreichen soll, bleibt der Klärung durch eine Kommission bis Ende 2018 vorbehalten. Sie soll definieren, wie und wie schnell Deutschland das Ziel eines Erneuerbaren-Anteils an der Stromversorgung von bis zu 45 Prozent im Jahr 2025 einhalten oder gar übertreffen soll, um gleichzeitig das EU-Ziel für 2020 einer 18 Prozent Erneuerbaren-Quote an der Gesamtenergieversorgung wenigstens im Nachhinein noch zu erreichen. Laut dem Bundesverband Erneuerbare Energie wäre dafür eine deutliche Forcierung der Maßnahmen im Verkehrs- und Wärmesektor notwendig.

2)

Wie die Sektorkopplung in Deutschland konkret und schnell vorankommen soll, haben die schon bisherigen Regierungsparteien nicht definiert. Während das EEG bisher nur eine Experimentierklausel zur Vermarktung von überschüssigem Grünstrom für Wärmespeicheranlagen vorsah, heißt es nun, Eine über die reine Wärmespeicher-Anwendung weit hinausreichende „Kopplung der Sektoren Wärme, Mobilität und Elektrizität in Verbindung mit Speichertechnologien voranbringen“ sei das Ziel. Dafür müssten „Rahmenbedingungen“ geschaffen werden. Doch zum bisherigen Haupthindernis einer breiten wirtschaftlichen Nutzung von Sektorkopplungstechnologie verliert das Vertragspapier nicht einmal ein Wort: Die Besteuerung und Abgabenbelastung der Sektorkopplungsanlagen als gewöhnliche Stromverbraucher macht bisher die Nutzung beispielsweise von Power-to-Gas-Anlagen unrentabel. Energiewende-Akteure fordern daher seit längerem, dass Sektorkopplungs-Anbieter als Systemdienstleister für den Netzbetrieb gelten und damit stromsteuer- und stromabgabenfrei bleiben.

3)

Auch den Ausstieg aus der Kohle-Verstromung nennen die mutmaßlichen Koalitionäre als Ziel. Doch den noch zu schreibenden „Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung“ wollen sie ebenfalls derselben Kommission namens „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ überlassen, die schon die Klimamaßnahmen bis Ende 2018 entwerfen soll. Damit ließe sich ein Kohleausstieg ebenfalls frühestens 2019 festzurren.

4)

Beim CO2-Emissionshandel orientieren sich die Politiker der drei Bundestagsfraktionen an der vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorgeschlagenen CO2-Mindestpreisinitiative. Demnach dürfte die Berechtigung zum Ausstoß einer jeden Tonne CO2 nicht weniger als 25 bis 30 Euro kosten dürfen. Derzeit beträgt das Preisniveau 8,50 bis 9,00 Euro. Doch das Koalitionspapier deutet an, dass dieser Maßnahme zur Verteuerung der Nutzung fossiler Energieträger mindestens ein gemeinsamer Beschluss der Gruppe der 20 größten Industrienationen G20 vorausgehen soll.

5)

Auch ein zusätzlicher „Offshore-Windenergiebeitrag“ steht schwarz auf weiß – auf Seite 71, wo das Papier die zusätzlichen Ausbauvolumen für Windenergie an Land und große Photovoltaikanlagen für die Jahre 2019 und 2020 verspricht. Die Höhe des Offshore-Windenergiebeitrags bleibt offen.

6)

Eine wieder regional ausgewogenere Verteilung des Ausbaus der erneuerbaren Energien in der Stromversorgung verspricht das Papier ebenfalls. Dies dürfte vor allem gegen die Fehlentwicklung der ersten drei Ausschreibungsrunden für Windparks an Land im vergangenen Jahr zielen. Für Projekte in südlichen Bundesländern gab es fast keine Zuschläge. Baden-Württemberg beispielsweise ging sogar leer aus, aber auch in Bayern, Rheinland-Pfalz oder Hessen konnten die Projektierer mit den geringeren Winderträgen im eingetretenen scharfen Bieterwettkampf der Ausschreibungen nicht mithalten. Immerhin heißt es im Vertragsentwurf von Schwarz-Rot nun wörtlich, eine neue große Koalition werde „für die Ausschreibungen südlich des Netzengpasses einen Mindestanteil über alle Erzeugungsarten festlegen“.

7)

Auch die Energiespeicher wollen Union und SPD mehr fördern. Konkreter ist der Plan hier allerdings fast nicht. Immerhin wollen die wohl baldigen Koalitionäre mit Blick auf die Stromversorgung „die unterschiedliche Belastung von gespeicherter Energie prüfen und vereinheitlichen“. Ob sie damit tatsächlich die Belastung der Energiespeicheranlagen mit Stromsteuern und Stromabgaben im Unterschied zur entsprechenden geringen Belastungen konventioneller Kraftwerke meinen, ließen sie durch die Formulierung nicht eindeutig werden.

8)

Unkonkret, aber immerhin interessant ist die Maßnahme, dass das zuständige Ministerium prüfen lassen soll, inwiefern sich nicht mehr benötigte Kraftwerksstandorte durch „große thermische Speicher-Kraftwerke“ nutzen lassen. Das Papier verzichtete allerdings auf jede Definition dieser Idee – etwa, was große thermische Speicher-Kraftwerke sind sowie wer sie finanzieren soll.

9)

Auch sehr interessant: Schwarz-Rot verspricht, die Planung und Finanzierung von Energieinfrastrukturen zur Sektorkopplung zur Chefsache zu machen: Jedenfalls solle die Bundesregierung dafür sorgen, „dass die verschiedenen Infrastrukturen [speziell für Gaserzeugung und Wärmeversorgung] koordiniert energiewendetauglich und kosteneffizient weiterentwickelt werden. Zugleich solle die Bundesregierung Deutschland „zum Standort für LNG-Infrastruktur machen“: mit großen Anlagen zur Nutzung von Flüssiggas (LNG) ausstatten. Damit sind Kühl- und Speicheranlagen für LNG gemeint, das insbesondere die USA und arabische Staaten wie Katar in großen Mengen per Schiffen nach Deutschland importieren wollen. Dies gilt als geopolitisches Instrument, um Europa unabhängiger vom Gaslieferanten Russland zu machen. Allerdings gilt LNG bislang als ausgesprochen klimaschädlich – nicht nur aufgrund der energie- und Schadstoff-intensiven Transporte mit dem Schiff sondern auch, weil der LNG-Rohstoff dann vor allem aus Fracking-Feldern stammen wird. Das Fracking ist eine besonders intensive Ausbeutungsmethode, die oft mit der Freisetzung von viel klimaschädlichem Methan einhergeht.

10)

Auch die Bioenergie erhielt ein eigenes Kapitel. Sie solle zur Erreichung der Klimaziele im Energie und Verkehrssektor beitragen, heißt es da. Die Weiterentwicklung des Bestandes der Anlagen im Zuge von Ausschreibungen soll ein Ziel sein. Genauere künftige Ausbau-Volumen oder Neubau von Anlagen stehen nicht im Papier.

Spannend dürfte sein, was es bedeutet, dass die SPD sich nicht das Wirtschafts- und Energieministerium erneut gesichert hat. Stattdessen gewann sie in den Koalitionsverhandlungen nun wohl das Finanzministerium - neben den Ministerposten der Ressorts Außen-, Familien-, Arbeits-, Justiz und Umweltpolitik. Dabei gilt die SPD als der etwas mehr an der Energiewende interessierte Partner. Nun kann sie die Ausgestaltung der vereinbarten Energiewendeziele nicht vom eigentlich zuständigen Energieministerium aus selbst steuern.