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Kommentar zum Selbstverständnis der Windbranche

Windenergie fordert 5-Gigawatt-Dauerauftrag

Zu Beginn der in der letzten Aprilwoche veranstalteten Hannover Messe hatte der Geschäftsführer beim Bundesverband Windenergie (BWE) das neue wirtschaftliche Ziel der Windenergiebranche wie beiläufig ausgegeben. In einem Gastbeitrag der Firmenzeitschrift des Ökostromversorgers Naturstrom schrieb Wolfram Axthelm: Die Windenergie an Land könne bei einem jährlichen bundesweiten Zubau von gut 5.000 Megawatt (MW) netto – aufgrund des wohl seiner Meinung nach mit so starkem Zubau einhergehenden technologischen Fortschritts – „die modernste Anlagentechnologie einsetzen“. Um die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen, müsse die Politik den Ausbaukorridor für Windparks in Deutschland soweit anheben, dass bis 2050 ein Ausbau der deutschen Windkraft-Erzeugungskapazität auf gut 200 Gigawatt erreichbar werde. Axthelm beschrieb das Ziel in seinem Gastbeitrag im so beiläufigen Duktus, dass auch sein großzügiger Rechenfehler eher wenigen Lesern aufgefallen sein dürfte: Ein Ausbau der Erzeugungskapazität von zuletzt knapp 51 auf 200 GW wäre in Deutschland mit einem jährlichen Nettozubau von bereits 4,5 Gigawatt zu meistern. Axthelms Forderung nach gut fünf GW ist also so etwas wie ein großzügiger Sicherheitsaufschlag auf die eigene Forderung.

Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber
Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber

Auf der Hannover Messe bekräftigten die Windkraftvertreter flugs das neue BWE-Ziel. Der für die Fachgremienarbeit zuständige Geschäftsführer des Verbands, Carlo Reeker, erklärte in einem Forum der Zuliefererindustrie der Windkraft, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen, sei ein jährlicher Zubau von mehr als fünf Gigawatt netto unerlässlich. Ein Zubau, der den bevorstehenden Abbau von alten Anlagen um mehr als fünf GW übertrifft –wohlgemerkt.

Fünf Gigawatt netto entsprechen dabei ziemlich genau dem Ergebnis des Zubaus des jüngsten Rekordjahres 2017: Nie zuvor hatte die Branche so viel neue Erzeugungskapazität in einem Jahr in Deutschland aufgestellt. Dabei galten die vergangenen Zubaujahre schon seit 2014 auch bei Klimapolitikern als die Ausnahmejahre, in denen die deutsche Windbranche ihre Projektpipelines abräumten, um noch kurz vor dem bevorstehenden Ende der gesicherten erhöhten Einspeisevergütung ihre Windturbinen rechtzeitig vor der Deadline ans Stromnetz zu bringen. Während den politischen Debatten, die der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2017 vorausgegangen war, hatte der BWE hingegen noch ein ganz anderes Ausbauniveau im Visier gehabt. Im April 2016 verlangte er noch eine Mindestausbaumenge an Land von 2.500 MW netto.

Man muss kein Gegner der Windkraft sein, um die Branche hier als maßlos zu empfinden. Allerdings haben die Redner auf der Hannovermesse aus Windkraft- und der übrigen Erneuerbare-Energien-Szene auch viele starke Argumente für einen stärkeren Ausbau der Windenergie und eine verlässlichere Energiewendepolitik präsentiert. „Wir werden als Branche sehr stark gefordert“, betonte BWE-Politikchef Carlo Reeker beispielsweise auf dem Zuliefererforum. Die Windkraft habe sich in den Ausschreibungen auf einen Absturz der Einspeisepreise auf 4,X-Cent eingelassen: Eine Förderklausel im EEG mit besonders späten Genehmigungs- und Netzanschlussfristen für Bürgerwindparks hatte zu spekulativen Geboten geführt. In Deren Bieter setzen auf die Neuentwicklung noch effizienterer Windenergieanlagen, die erst in den kommenden Jahren auf den Markt kommen. Weil profitable Projekte zu den niedrigen Ausschreibungs-Tarifen nur sehr schwer zu machen seien, drohe nun eine Ausbaulücke, machte Reeker hierzu die aktuell vorherrschende Sorge der Windbranche deutlich. Daher benötige das Ausschreibungssystem in Deutschland dringend kurzfristigere Reparaturmaßnahmen. Ein Nettoausbau von 5.000 MW an Land sei aber zudem unabdingbar, um das Regierungsziel eines Grünstromanteils von 65 Prozent im deutschen Stromnetz bis 2030 zu erreichen.

Nicht zuletzt aber werde die Zuliefererindustrie gute Komponenten mit ausreichend langer Haltbarkeit nur dann bereitstellen, wenn ein zuverlässiger Ausbaupfad existiere, erklärte Reeker. Dann erst könne die Zuliefererindustrie sich nämlich größere Verkaufszyklen für haltbarere hochwertige Windrad-Komponenten leisten, wenn das Geschäft eine langfristige Konjunktur erwarten lasse.

Beim Marktführer in Sachen Windturbineninstallationen in Deutschland, Enercon, erklärte der Geschäftsführer Simon-Hermann Wobben, was eine in seinen Augen wichtige regionale Nutzung der Windkraft bislang verhindert. Diese Alternative sei notwendig, um nicht auf den sich hinziehenden Ausbau des Stromnetzes zu warten. Nur so ließen sich die Strommengen durch Sektorkopplung gewinnbringend vermarkten: die Nutzung beispielsweise überschüssigen Windstroms für Wärmespeicher im Wärmesektor.

Allerdings müssten die Bundesländer nun dringend in Regionalplänen weitere freie Windparkflächen ausweisen lassen, betonte Wobben. Außerdem müssten die Länder grundlose naturschutzrechtliche Ausbauhürden beseitigen: Mittlerweile verzeichne alleine Enercon hierzulande schon 2,5 GW an blockierten Windparkprojekten.

Auf einem Messe-Forum des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) allerdings warnte die politische Vertreterin Enercons, Ruth Brand-Schock, vor einem Missverständnis: ein nur schneller Zubau der Windkraft ohne Abbau konventioneller Kraftwerke lasse die Energiewende nicht gelingen. Der Politik-Referent von Enercons Mittbewerber Vestas, Johannes Schiel, erklärte: Ohne künftige Ausweisung der Systemkosten auch für konventionelle Energiequellen etwa durch höhere Preise für CO2-Emissionen werde Windstrom nicht konkurrenzfähig sein.

BEE-Präsidentin Simone Peter rief schließlich bei einer Rede am Messestand von Enercon die Politik dazu auf, die im Koalitionsvertrag versprochenen Extraausschreibungen bis 2020 von jeweils vier GW Windkraft und Solarenergie schnell auf den Weg zu bringen. Gerade Turbinenbauer Enercon sei „einer der Player, die den Heimatmarkt brauchen“: Technologieführer wie Enercon müssten weiterhin mit ihren Turbinen neue Technologien für den Weltmarkt vorführen können.

Die Windkraft besitzt somit tatsächlich genügend Argumente, um auf eine entschiedenere Energiewendepolitik zu drängen. Sie sollte sich auf Debatten wie die über die Wahrnehmung der gesamten Energieversorgungs- und Systemverantwortung konzentrieren und zeitgleich den unbedingten schnellen Ausstieg aus der Kohlekraft von der Politik einfordern. Auch um den Preis einer erneut erbitterten Gegnerschaft zu Akteuren der konventionellen Energiewirtschaft – die vermeintlich in Deutschland schon überwunden schienen.

Vorrangig immer noch mehr Ausbauvolumen für immer größere Windturbinen zu fordern – und gleichzeitig Interesse an Akzeptanz der Bevölkerung zu markieren: Das wäre für die Branche viel zu kurz gesprungen. Glaubwürdigkeit entsteht in dieser schon so weit fortgeschrittenen Phase der Energiewende anders - nämlich erst, wenn die Windbranche den schnellen Kohleausstieg und die Sektorkopplung ins Zentrum ihrer Forderungen stellen.

(Tilman Weber)