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Das Streitgespräch

"Gabriel macht Unterschiede"

Herr Becker, dürfen wir Sie an Ihren früheren Zielen messen?

Dirk Becker: Wir haben im Wahlkampf mit dem SPD-Programm ambitioniertere Ziele vertreten. … (Aber:) Ob ich 2022 die 40 Prozent Grünstromanteil erreiche oder 2025, ist nicht wichtig. Wir wollen den Stromsektor wie die Grünen bis 2050 vollständig auf Erneuerbare umstellen, weil wir sonst unsere CO2-Minderungsziele nicht erreichen. Jetzt müssen wir die Frage beantworten, wie wir den Strom von Nord nach Süd bekommen. Der Netzausbau hinkt. Zur Kohle will ich nur sagen: Auch unter Rot-Grün sollten die Bestandsanlagen der Kohle über den Emissionshandel eine Deckelung erfahren. Das ist nur bedingt gelungen. Aber niemand plant hier, neue Kohlekraftwerke zu errichten. Die Rolle der Kohle im Energiemix der nächsten 20 Jahre war auch unter Gerhard Schröder unstrittig.

Bärbel Höhn: Beim Netzausbau war ursprünglich ein größerer Ausbau der Erneuerbaren vorausgesetzt. Jetzt sagt Horst Seehofer: Wenn der Bundeswirtschaftsminister weniger Ausbau will, revidieren wir die Planung bei den Netzen. Er stellt den Netzausbau in Frage, wenn es Widerstand der Bürger gibt. Die reduzierten Ausbauziele vermindern jetzt den Druck zum Netzausbau und untergraben dessen Akzeptanz. Gleichzeitig wird auch nichts zum Emissionshandel verkündet. Im Koalitionsvertrag steht nur Backloading und nicht mehr. Das reicht nicht aus. Im Koalitionsvertrag wird praktisch festgeschrieben, dass der Emissionshandel nicht mehr in Gang kommt. Der Ansatz, der Kohle einen Teil der selbst verursachten Kosten aufzuerlegen, fehlt somit vollständig.

Frau Höhn, sind sich die Grünen über eine komplette Ablehnung des von Ihnen kritisierten Vorhabens eines Zubaudeckels für erneuerbare Energien überhaupt einig?

...Wir wollen einen starken Ausbau, der nicht durch zusätzliche Deckelungen beschränkt werden darf. Bezüglich der Kostenkostenbelastung macht Gabriels Papier (das Eckpunktepapier vom Januar, das Grundzüge einer EEG-Reform wie einen solchen Deckel aufzeichnet, die Redaktion) auch interessante Unterschiede: Zu den Kohlekraftwerken steht – platziert ganz am Ende des Papiers – dass deren Stromeigenverbrauch nicht durch die Umlage der EEG-Kosten belastet werden soll. Bei allen anderen Teilnehmern werden Eigenstromerzeugung und -verbrauch aber dramatisch belastet.

Becker: Was ist denn entscheidend am Kraftwerkseigenverbrauch?.

Höhn: Dieser stellt den überwiegenden Anteil bei der Versorgung mit Eigenstrom dar. Die Kohle wird ausgenommen und die Erneuerbare-Energien-Anlage muss zahlen. So ist das Verständnis der Regierung von der Verantwortung für die Kosten der Energiewende auch auf den Punkt gebracht. Der Umlageanstieg hat aber auch doch damit zu tun, dass irgendwann der Wälzungsmechanismus umgestellt wurde.

Becker: Natürlich. Es ist aber nicht so, dass wir den alten Wälzungsmechanismus wieder einführen und alles wird gut. Wir sind genau in der Phase, wo die bisherigen Außenseiter der Energieerzeugung marktbeherrschend werden. Wir müssen deshalb Neues machen. Es ist zwar ein Riesenerfolg, dass die Erneuerbaren erheblich zur Senkung der Großhandelspreise beitragen. Aber Lieschen Müller profitiert davon nicht und zahlt die Zeche. Bei der Verteilung von Kosten wie Profiten geht es ungerecht zu. Wir müssen das Verramschen des Ökostroms an der Strombörse beenden. Und ebenso die Wahnsinnigkeit, dass Ökostrom umso teurer für Verbraucher wird. Das Ministerium ist dabei, im Rahmen eines Forschungsauftrages dafür vier Modelle zu evaluieren. Es geht um die Frage, wie wir einen auf erneuerbaren Energien basierenden Markt hinkriegen – unter Einbeziehung der noch fossil am Markt Tätigen. Das ist eine politische und eine energiewirtschaftliche Frage, an die wir zügig ran müssen.

Höhn: Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiewende den Klimaschutz beinhaltet. Das tut sie momentan nicht. Wir hatten jetzt zwei Jahre hintereinander massive CO2-Zuwächse. Wir nähern uns deshalb bei den Emissionen wieder den Kyoto-Zielen und zwar von der falschen Seite. Erst lag es an den Braunkohlekraftwerken, vergangenes Jahr an der Steinkohle. Deswegen sind wir Grünen für einen ökologischen Flexibilitätsmechanismus.

Also Regelungen, um die Stromversorgung mit den volatil erzeugenden Erneuerbaren zu flexibilisieren.

Höhn: Und da können wir beim Netz ansetzen – mit echtem Demand Side Management etwa, das auch den Verbrauch entsprechend der Erzeugung steuert. Es gibt hier ganz viele Ansatzpunkte für Flexibilitätsmechanismen. Am Ende brauchen wir vielleicht auch noch eine Übergangslösung für konventionelle Kraftwerke. Aber wahrscheinlich viel weniger als wir denken, weil mittels Power to Heat oder ähnlichem zum Ausregeln sich auch Wärme- und Strommarkt stärker miteinander kombinieren lassen. Die „Eier legende Wollmilchsau“, die alle Bedürfnisse zugleich befriedigt, hat zugegeben noch keiner gezüchtet. Aber wir können uns Braunkohlekraftwerke nicht mehr leisten – insbesondere die alten Möhrchen mit einem immens schlechten Wirkungsgrad. Wir wollen nicht sofort raus aus der Kohle. Aber in dem Ausbaupfad der großen Koalition lese ich, dass die Kohleverstromung für die nächsten Jahrzehnte garantiert werden soll.

Das Gespräch führten Nicole Weinhold und Tilman Weber. Lesen Sie mehr in der Aprilausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN.

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