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Wind & Maritim

Wie sich der Windstromabsatz erhöhen lässt

„Wir wollen mehr die Innovationen zur Umsetzung der Energiewende in den Mittelpunkt stellen“, sagte Andree Iffländer am Mittwoch auf der Tagung Wind amp; Maritim in Rostock. So gab der Vorsitzende des Branchennetzwerks Wind Energy Network in Mecklenburg-Vorpommern der zweitägigen Branchenkonferenz mit traditionellem Schwerpunkt auf dem Offshore-Ausbau der Windkraft in der Ostsee eine Richtung vor. Das Netzwerk veranstaltet die jährliche Tagung nun zum siebten Mal. Die Windkraft-Branche in Mecklenburg-Vorpommern werde Ideen und Vorschläge zur Netzoptimierung erarbeiten, deutete Iffländer an, sowie für das zeitgerechte Abschalten konventioneller Kraftwerke und für die regionale Abnahme von Windstrom. Der regionale Absatz diene dazu, die Wertschöpfung in der Region zu erhöhen als auch wie dringend benötigt die Nachfrage nach der grünen Elektrizität aus der Luft zu erhöhen.

Wie wichtig der Blick aufs große Ganze für die Ausrüster, Zulieferer, Dienstleister und Betreiber von Windparks auf See wie an Land in dem Bundesland bereits heute ist, machte auch der Rostocker Professor am Institut für Elektrische Energietechnik, Harald Weber, den Zuhörern mit einem bloßen Verweis auf die Ausgangsdaten im Bundesland klar: Menschen und Wirtschaft im Land kämen bei Ihrem Stromverbrauch auf eine Gesamtlast von einem Gigawatt. Doch alleine die installierte Leistung der im Bundesland von der Windkraft dominierten erneuerbaren Energien komme auf eine Erzeugungskapazität von über fünf Gigawatt. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern müsse sich überlegen, deutete er an, ob es sich vor allem auf den Ausbau neuer Stromfernleitungen verlasse, weil Regionen weiter südlich in Deutschland mehr mit dem Stromüberschuss anfangen können. Oder ob es die eigene Wertschöpfung dadurch erhöhe, dass es neue Technologien zur intelligenten Nutzung des umweltfreundlichen Windstroms im Bundesland selbst nutze.

Dabei dürfe allerdings nicht alleine die derzeit bundesweit vorrangig diskutierte Sektorkopplung der Stromerzeugung mit dem Verkehrssektor in den Blick geraten, betonte Weber. Es dürfe beispielweise nicht bei der Erzeugung von Wasserstoff aus überschüssigem Windstrom in derzeit sogenannten Power-to-Gas-Anlagen bleiben, um mit dem Wasserstoff dann Autos zu betanken. Wasserstoff als besonders zukunftsträchtiger Energierohstoff sollte vielmehr nicht zuletzt in Speicherkraftwerken eingesetzt werden, erklärte der Rostocker Wissenschaftler.

Das von ihm skizzierte Konzept dieser neuen Anlagen zur Regulierung und Ergänzung der wetterabhängig schwankenden Einspeisung aus Wind- und Photovoltaikanlagen sieht solche Speicherkraftwerke als Nachfolger konventioneller Kraftwerke vor. Sie bestehen aus einer Batterie und einem Kondensator, um die sogenannte Momentan- und die Primärreserve als Regelleistung bei plötzlich einsetzenden Verbrauchsspitzen bereitzustellen. Verbunden ist die Batterie allerdings auch mit einem Elektrolyseur zur Erzeugung von Wasserstoff aus überschüssigem Strom sowie einer Brennstoffzelle, um auch mit dem Wasserstoff wieder Strom zum Nachfüllen der Batterie zu erzeugen. Die Batterien der Speicherkrafwerke könnten damit auch in Windflauten den Netzbetrieb stabilisieren helfen (Lesen Sie einen Fachaufsatz von Harald Weber über das Speicherkraftwerkskonzept in der aktuellen Ausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN, ab Seite 22!).

Doch auch in den Grenzen eines sich überwiegend schon auf Windenergie stützenden Bundeslandes wie Mecklenburg-Vorpommern lässt sich trotz gemeinsamen Ziels der Energiewende noch über längst nicht alles sofort Konsens erzielen. So verdeutlichte Iffländer, wie aus Sicht der Windkraft das verspätete Abschalten nicht mehr zur Energiewende passender konventioneller Kraftwerke die Wirtschaftlichkeit der Energiewende bedrohten. Seine eigenen Kinder würden beim Autofahren im Norden Rostocks immer wieder mit wachem Sinn auf diesen Widerspruch aufmerksam machen, wenn sie nach draußen zeigten und ausriefen: „Da ist wieder der Wolkenmacher!“ – das in Rostock noch immer betriebene Steinkohlekraftwerk in Rostock. Seine Nutzung trotz viel Emissionen des für den Klimawandel verantwortlichen CO2 und trotz unflexibler Inanspruchnahme des Stromnetzes bei hoher Einspeisung Wirkung stehe nicht nur in Kontrast zum Betrieb eines hocheffizienten und flexiblen Gas- und Dampfkraftwerks (GUD) der Stadt Rostock, betonte Iffländer. Während das Kohlekraftwerk heute schon dem GUD Konkurrenz mache, komme bald auch noch die Einspeisung von immer mehr Ostsee-Windstrom hinzu.

Während Iffländer so auf mögliche neue Strom-Netzengpässe im Bundesland verwies, warnte Energietechnik-Professor Weber vor einer abgehobenen weil seiner Meinung nach nicht an den Realitäten der regionalen Stromversorgung ausgerichteten Argumenten. Immerhin handele es sich bei dem Steinkohlekraftwerk um das modernste seiner Art in Deutschland, das mit einem Wirkungsgrad von 42 bis 43 Prozent erfolgreich als Regelkraftwerk das Netz stabilisiere. Wer dessen 500 Megawatt Leistung abschalten wolle, müsse zuerst klären, wie künftig die wetterabhängige Offshore-Windkraft diese Regelenergie ersetze.

Weber verwies darauf, wie sich die Energiewende-Akteure mehr noch als bisher um den Ausbau einer komplett neuen Infrastruktur bemühen müsse. In Indien beispielsweise lasse die Politik die erneuerbaren Energien bereits in hohem Tempo ausbauen, weil die Braunkohlenutzung dort die Umwelt kaputt mache. „Aber gleichzeitig hüten sie sich dort davor, die Anlagen abzuschalten“ – weil Alternativlösungen für die Regelenergie zwar machbar aber teuer würden. Auf Mecklenburg-Vorpommern übertragen ließe sich zwar über die Nutzung des hocheffizienten Energieträgers Wasserstoff nachdenken. Doch bevor nicht Anlagen zur Herstellung gebaut würden, sei der Rohstoff in Deutschland noch kaum vorhanden.

Derzeit erzeugten Wind- und Solaranlagen in Deutschland 200 Terawattstunden (TWh) Strom bei einem Stromverbrauch von 600 TWh. „Optimistisch hochgerechnet“ lasse sich laut Experten die Erzeugung in Deutschland auf 1.000 TWh erhöhen. Sollten aber Verkehr und Wärmeversorgung ihre Energien ebenfalls noch aus grünem Strom beziehen müssen, sagte er in Bezugnahme auf aktuelle Sektorkopplungsdebatten der Branche, erhöhe sich der deutsche Verbrauch auf 2.500 TWh. Die Lücke sie nur zu schließen, wenn die Bürger auch auf notwendigen Verzicht eingestimmt würden. Außerdem müsse der Verkehr insgesamt neu gedacht werden, ein Auto für jeden dann nur mit Elektroantrieb mache keinen Sinn. „Dann spielt hier nicht mehr jeder in der Liga mit“, betonte Weber. Auch der Berliner Verkehrsforscher Weert Canzler stimmte hier prinzipiell zu. Zumindest könne Deutschland dann etwa nicht mehr wie bisher die als große Spritfresser zunehmend eingesetzten Sportgroßwagen – sogenannte SUV – als Dienstwagen fördern.

Die skeptische Sicht der Wissenschaftler weckte freilich nicht nur den Widerspruch des Windenergie-Netzwerk-Chefs Iffländer. Der erklärte, er räume ein, dass Wasserstoff noch kaum vorhanden sei – weshalb die Stadt Hamburg auch nach vergeblicher Suche nach einem Wasserstofflieferanten die Pläne zur Einführung von Wasserstoffbussen zugunsten der Anschaffung von Elektrobussen habe aufgeben müssen. Doch nicht zuletzt die Entwicklung des wieder steigenden Ölpreises werde die Wasserstofftransformation der Energiewirtschaft beschleunigen helfen.

Verkehrsforscher Canzler warnte allerdings vor genau dieser trügerischen Hoffnung auf vermeintliche Selbstregulierungskräfte des Marktes durch den Ölpreis: „Hierauf zu hoffen ist nicht hilfreich“ – vielleicht wird dann nur das besonders umweltschädliche Fracking von Öl und Gas wieder lukrativ. Er setze vielmehr auf eine überlegte bundesweite Strategie. So müsse die Politik zuerst eine rasche Umstellung der rund vier Millionen Flottenfahrzeuge auf alternative Antriebe befördern, mit der ein eigener Markt für Elektrofahrzeuge und andere umweltfreundlich betreibbare Auto-Technologien entstehe. Lasse sich davon die Hälfte „in drei bis fünf Jahren elektrifizieren – mit Hilfe von neuen Steuerabschreibungsregeln“ – so komme Deutschland hier „einen ordentlichen Schritt voran“. Zudem hätten Windkraft und Photovoltaik vorgemacht, wie schnell dank technischer Innovationen die Preise und damit die Kosten der Energiewende sich senken ließen. So erwarte er für die Zukunft auch wesentlich billigere Batterien.

Weert Canzler sieht dafür allerdings vor allem die Bundespolitik in der Verantwortung. Diese müsse zunächst den Kommunen mit gesetzlichen Experimentierklauseln zu Leuchtturmprojekten verhelfen, die diesen eine konsequente Umstellung erst ermögliche. Denkbar sei, dass die Landesregierung über eine Bundesrats-Initiative im Ländervertretungsparlament die Bundesregierung dazu auffordere, sagte Canzler dann noch auf einer Pressekonferenz der Tagung an den ebenfalls teilnehmenden mecklenburg-vorpommerischen Umweltminister Christian Pegel gewandt.

Während der Politiker sich zu diesem konkreten Vorschlag nicht äußerte, erklärte der Leiter für den Offshore-Netzanschluss beim Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz, Henrich Quick: Entscheidend für eine gelingende Verkehrswende sei es, „dass wir mit der Sektorkopplung jetzt anfangen“, um rechtzeitig viele technische und wirtschaftliche Konzepte umsetzen zu können. Für einen Netzbetreiber wie 50 Hertz gehe es hierbei nun darum, sich nicht nur auf die eigenen Entwicklungsabteilungen zu verlassen, sondern die Zusammenarbeit mit jungen innovativen Unternehmen zu suchen, „die anders denken“. Nur so lasse sich bisher nicht vorstellbares neu entwickeln, betonte der Netzbetreiber: Noch vor einigen Jahren habe beispielsweise bei 50 Hertz die Vorstellung vorgeherrscht, „wenn wir die Energieversorgung so machen würden, wie wir sie heute bewältigen, dann bricht das System zusammen“, betonte Quick mit Verweis auf den hohen Einspeiseanteil von Windkraft im 50-Hertz-Netz.

Der Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, Andreas Wagner, verwies derweil auf eine Vielzahl auch optimistischer Studien, die eine Grünstromerzeugung in ausreichendem Maße erwarten lassen. Wagner empfahl dazu insbesondere eine 2017 vom Fraunhofer Windenergieinstitut Iwes 2017 veröffentlichte Analyse. So empfahl die Studie „Energiewirtschaftliche Bedeutung der Offshore-Windenergie für die Energiewende“ einen Ausbau allein der besonders ertragreichen Offshore-Windkraft um das Zehnfache auf 57 Gigawatt als „energiewirtschaftlich optimal“.

(Tilman Weber)

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