Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat das lang erwartete Gutachten zum Monitoring der Energiewende vorgestellt. Darin wird, wie von vielen erwartet, der Strombedarf Deutschlands 2030 nach unten korrigiert – wenn auch nicht so stark wie befürchtet. Statt der bisher angenommenen 750 Terawattstunden (TWh) würden in Deutschland in fünf Jahren voraussichtlich 600 bis 700 TWh benötigt, ermittelte das Gutachten. Es sei davon auszugehen, dass der Strombedarf eher am unteren Ende liege, sagte die Ministerin auf einer Pressekonferenz.
Reiche will am 80-Prozent-Ziel festhalten
Der voraussichtliche Strombedarf ist ein Schlüssel für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, wie auch Reiche mehrfach betonte, den Strombedarf Deutschlands 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu decken. Doch 80 Prozent von 600 TWh sind indes mit weniger neuen Windparks oder PV-Anlagen zu erreichen als 80 Prozent von 750 TWh.
Aufgabe des Monitoring-Gutachtens war es, nicht nur den zu erwartenden Strombedarf anhand einer Metaanalyse bereits vorliegender Studien zu ermitteln, sondern auch weitere Themenfelder zu analysieren. So sollten die beauftragten Institute EWI und BET Consulting den Stand von Versorgungssicherheit, Netzausbau, Ausbau der erneuerbaren Energien, Digitalisierung und Wasserstoffhochlauf analysieren und Handlungsempfehlungen entwickeln.
Neue Studie zeigt: Deutschland braucht mehr Ökostrom
Gutachten empfiehlt mehr Flexibilität, Ausbau der Erneuerbaren und Digitalisierung
Erklärtes Ziel der Ministerin ist, die Energiewende besser mit Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit zu verzahnen. Das Gutachten „Energiewende. Effizient. Machen.“ kommt zu dem Schluss, dass dies vor allem durch ein systemdienliches Zusammenspiel von steuerbaren Kraftwerken, erneuerbaren Energien sowie Flexibilitäten wie Stromspeichern und Lasten möglich sein wird. Sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien sei weiterhin notwendig, als auch die verstärkte Nutzung von Flexibilitäten auf Erzeuger- und Verbraucherseite.
In den Handlungsempfehlungen finden sich Vorschläge, die in der Branche bereits thematisiert wurden. Zum Beispiel die Überlegung, dass durch eine gezielte Überdimensionierung von Erzeugungsanlagen gegenüber der Netzanschlusskapazität die Netzinfrastruktur deutlich effizienter genutzt werden könnte. Außerdem sollten sich, schlägt das Gutachten vor, Förder- und Investitionsanreize für erneuerbare Erzeuger, Speicher- und Wasserstofftechnologien nach dem systemisch höchsten Wert von erneuerbarem Strom oder Wasserstoff richten. Nicht zuletzt sollte die Digitalisierung durch einen schnelleren Roll Out von Smart Metern beschleunigt werden, etwa durch mehr Wettbewerb unter den Anbietern und bessere Koordinierung.
Kommunen und Verbände fordern eine ambitionierte Energiewende
Reiche präsentiert zehn Maßnahmen
Die Ministerin wiederum präsentierte einen Plan mit zehn Maßnahmen, mit denen sie die Energiewende effizienter machen möchte. Dabei gibt es zuweilen Diskrepanzen zu den Ergebnissen des Monitorings. So geht Reiche, anders als die Wissenschaftler, unter dem Stichwort „Planungsrealismus“ von einem Strombedarf am unteren Ende der Skala, also 600 TWh, aus. Es brauche daher Anpassungen bei der Offshore-Kapazität, bei Offshore-Netzanbindungen und Hochspannungs-Gleichstrom-Trassen, so die Ministerin. Zur weiteren Förderung der Erneuerbaren will sie Contracts for Difference einführen.
Zur Stärkung der Versorgungssicherheit sollen noch in diesem Jahr Gaskraftwerke mit der „Umstellungsperspektive auf Wasserstoff“ ausgeschrieben und bis 2027 ein technologieoffener Kapazitätsmarkt eingeführt werden. Um den Wasserstoffhochlauf zu beschleunigen, will Reiche „überkomplexe Vorgaben – wie die strenge Definition von grünem Wasserstoff auf EU-Ebene – abbauen und durch pragmatische Kriterien ersetzen“. Kohlenstoffarmer Wasserstoff (Low-Carbon Hydrogen) soll gleichberechtigt behandelt, CCS/CCU prominent und technologieoffen in den Regulierungsrahmen eingebunden werden.
Lob für das Gutachten, Kritik an der Ministerin
Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), sieht sich durch das Monitoring bestätigt. „Das Gutachten zeigt: Es braucht keine Neuausrichtung der Energiewende, sondern sie muss systemdienlich weiterentwickelt werden“, so Peter. Vieles von dem, was das Gutachten fordere, etwa die Überbauung der Netzanschlüsse und die verstärkte Nutzung von Flexibilitäten, habe der BEE bereits in seiner Studie „Klimaneutrales Stromsystem“ vorgeschlagen.
Der Bundesverband Windenergie Offshore (BWO) begrüßte ausdrücklich die angekünigte Einführung von CfDs und forderte, dass diese bereits für die kommenden Auktionen im Jahr 2026 angewendet werden. Dass die Ministerin erkläre, dass das Ziel von 30 GW Offshore 2030 nicht zu halten sei, nannte der Verband einen wichtigen Schritt zu mehr Transparenz. „Jetzt gilt es, Ertragsziele der Offshore-Windparks vor reine Leistungsziele zu stellen. Nur wenn Windparks auf See effizient und ertragreich betrieben werden können, leisten sie einen stabilen Beitrag zur Versorgungssicherheit und ermöglichen weitere Investitionen“, erklärte BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm.
DGS-Faktencheck: Behauptungen von Wirtschaftsministerin Reiche
Andere Verbände äußerten hingegen Kritik. „Die starke Fokussierung auf Kostenminimierung lässt vollkommen außer Acht, dass die Energiewende ein gesamtgesellschaftliches Projekt ist“, sagte Katharina Habersbrunner, Vorständin des Bündnis Bürgerenergie. „Wenn Kommunen, Gewerbe und der Bürgerschaft nun suggeriert wird, dass weitere Erneuerbare-Energie-Projekte nicht mehr benötigt werden, wird das die Energiewende auf Jahre ausbremsen“, so Habersbrunner mit Blick auf die niedrigere Stromprognose.
Thomas Losse-Müller, Co-Direktor der Stiftung Klimaneutralität, warf der Ministerin vor, auf das falsche Ziel zu fokussieren. „Es geht nicht primär um den Anteil der Erneuerbaren im Energiesystem, sondern um die Erreichung der Klimaziele.“ Eine langsamer steigende Stromnachfrage spreche eher dafür, die Elektrifizierung von Industrie, Verkehr und Gebäuden voranzubringen und den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung schneller zu erhöhen, statt am 80-Prozent-Ziel festzuhalten.
Die Deutsche Umwelthilfe kritisierte, die Ministerin habe offenbar die Empfehlungen des Gutachtens nicht sorgfältig gelesen. „Was Frau Reiche mit ‚Planungsrealismus‘ meint, ist faktisch eine Ausbau-Bremse für die Erneuerbaren, der ‚technologieoffene Kapazitätsmarkt‘ ist ein Einfallstor für neue fossile Abhängigkeiten“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.